In unserer Stellungnahme gehen wir zunächst im Abschnitt A. auf die Gruppe „Students for Palestine HS Fulda” (im Folgenden SFP genannt) ein, danach beschreiben wir im Abschnitt B. kritisch den Inhalt des Briefs vom Allgemeinen Studierendenausschuss der Hochschule Fulda (im Folgenden AStA Fulda genannt) gegen die Implementierung der IHRA-Definition und zuletzt werden wir unser Resümee und Forderungen an den AStA Fulda, der Stadt Fulda und das Präsidium der Hochschule Fulda vorstellen.
Eine neue Gruppe am Campus der Hochschule Fulda & ein Brief des AStA Fulda
SFP stellt sich vor wenigen Monaten auf ihrem Instagram Account mit dem Namen „@studentsfrmhsforpal“ als eine Gruppe von Studierenden der Hochschule Fulda vor, die sich angesichts der aktuellen Lage in Gaza besorgt fühlen und sich daher in der Gruppe SFP organisieren. Ihr Ziel sei „eine Hochschule, die für Frieden, Gerechtigkeit und Meinungsfreiheit einsteht“. (1)
Zudem schrieb der AStA Fulda in einem Brief vom 15. Mai 2024 an die Mitglieder des Hochschulpräsidiums und „alle Anwesenden der Landeshochschulkonferenz [gemeint ist wohl die Hochschulrektorenkonferenz (kurz: HRK)]“, dass es sich „entschlossen gegen die Erweiterung des Antisemitismusbegriffs auf die IHRA-Definition“ ausspreche.
Die Hochschultage - finanziert von der Studierendenschaft, der Hochschule und der Stadt
Ferner genehmigte der AStA Fulda einen Stand der SFP (Stand 37 laut Geländeplan(2)) an den von ihm organisierten Hochschultagen im Zeitraum vom 6.-8. Juni 2024. Die Hochschultage sind ein dreitägiges Kulturfestival, das seit fast 40 Jahren auf dem Campus der Hochschule Fulda stattfindet. Finanziert werden die alljährlichen Hochschultage zu großen Teilen durch über die Semestergebühren eingenommene Gelder der Studierendenschaft sowie durch die Förderung unter anderem von der Hochschule Fulda, einer staatlichen Fachhochschule des Landes Hessen, und der Stadt Fulda.
Die Gruppe SFP ist nicht das, was sie zu sein vorgibt
Vorangehend wollen wir klarstellen, dass es unserer Ansicht nach essentiell ist, insbesondere in Kriegszeiten und angesichts der Gräueltaten der Hamas an israelischen Zivilisten, den weiterhin festgehaltenen israelischen Geiseln sowie der hohen Anzahl ziviler Opfer auf palästinensischer Seite durch die israelische Offensive im Gaza-Streifen und des laufenden Verfahrens am internationalen Gerichtshof sowie am internationalen Strafgerichtshof, eine völkerrechtliche und menschenrechtsorientierte Perspektive in den Vordergrund zu stellen – auch an Universitäten. Eine konstruktive Kritik am Verhalten des Staates Israel ist ebenfalls wie die Kritik am Verhalten anderer Staaten, wie der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten, legitim. Auch dürfen Universitäten Orte des gemeinsamen Trauerns, sowie des wissenschaftsbasierten Diskurses über aktuelle politische Themen sein.
SFP beansprucht für sich, Bestandteil dieses konstruktiven Diskurses zu sein.
Betrachtet man aber ihre Aktivitäten und Slogans genau, dann muss man feststellen, dass die Gruppe Antisemitismus, völkisch-arabischen Nationalismus, Israel-Hass und Terror- sowie Holocaustrelativierung an der Hochschule Fulda salonfähig macht. Ihre Online-Aktivitäten zeigen zudem, dass sie das Zeigen von einem Symbol der kriegsverbrecherischen, in Deutschland mit einem Betätigungsverbot verhängten Terrororganisation Hamas gut heißt. Dies alles steht im völligen Widerspruch zum von SFP selbst propagierten Ziel für „Frieden, Gerechtigkeit und Meinungsfreiheit“.
Die Mitverantwortung des AStA Fulda
Die Teilnahme dieser problematischen Gruppe, die keine anerkannte Hochschulgruppe ist, trotz antisemitischer Äußerungen in der Vergangenheit und während der Hochschultagen sowie weiteren einschüchternden Verhaltens gegenüber anderen Hochschulangehörigen überschatteten diese eigentlich erfreulichen Kulturtage.
Der AStA Fulda trägt aus unser Sicht eine Mitverantwortung für die Verbreitung solcher Positionen, da er die SFP zum einen auf den Hochschultagen gewähren ließ, zum anderen die IHRA-Definition (3) von Antisemitismus mit schlecht recherchierten Argumenten und ohne die Angabe von Alternativen in ihrem Brief vom 15. Mai 2024 ablehnte. Im Folgenden gehen wir auf unsere Vorwürfe ein. Auch werden wir anhand dieser Beispiele vorführen, weshalb sich die vom AStA Fulda abgelehnte IHRA-Definition aus unserer Sicht besser eignet als die häufig als Alternative vorgeschlagene Jerusalem Declaration on Antisemitism (JDA).
A. Zu den Parolen und Slogans der Gruppe SFP in den Wochen vor sowie während den Hochschultagen (ausgewählte Beispiele)
1.Plakat mit dem Slogan „One Holocaust does not justify another“ auf dem Infostand der Gruppe SFP (siehe Nachweis im Anhang)
Mit dem ersten Slogan wird suggeriert, Israel begehe einen Holocaust an den Palästinensern. Dieser Slogan relativiert den Holocaust, der industriellen und millionenfachen Ermordung von Jüdinnen und Juden in Europa durch das NS-Regime, in perfider Weise, denn er beschuldigt Israel als Staat mit einem großen Anteil der Nachfahren von Holocaustüberlebenden dasselbe Verbrechen zu begehen. Derartige Holocaust-Analogien bzw Holocaustvergleiche können dem sekundären Antisemitismus (4) zugeordnet werden und zeigen eine immense Unsensibilität gegenüber den Nachfahren von Holocaustüberlebenden sowie der Erinnerungskultur an die Shoa.
2. Beitrag einer Rednerin der Gruppe SFP „Es fing nicht mit dem 7. Oktober an, Israel besetzt seit 75 Jahren Palästina.“ (Video auf Instagram zu finden)
“seit 75 Jahren” bezieht sich auf die Gründung des Staates Israels, welcher vor über 75 Jahren gegründet wurde. Das deutsche Außenministerium zählt zu den besetzten palästinensischen Gebieten (oPt) die im Rahmen des sechs-Tage-Kriegs in 1967 (60 Jahre) durch Israel eingenommene Westbank, Ost-Jerusalem und der Gaza-Streifen gezählt, wobei es beim letzteren um keine Besatzung im herkömmlichen Sinne handelt (5). Israel hat sich nämlich 2005 aus dem Gaza-Streifen zurückgezogen und von einer gewaltsamen Machtübernahme 2007 bis zum terroristischen Angriff am 7. Oktober 2023 hat die Terrororganisation Hamas dort als De-facto-Regierung geherrscht. Das Westjordanland und der Gazastreifen sollen gemäß den Oslo-Friedensverträgen für einen zukünftigen palästinensischen Staat in friedlicher Nachbarschaft und Koexistenz neben dem Staat Israel dienen (6). Mit der Gleichsetzung der Staatsgründung Israels und einer vermeintlichen 75-jährigen „Besatzung“ wird Israel in seinen völkerrechtlich unumstrittenen Grenzen delegitimiert und sein Existenzrecht gleichzeitig abgesprochen. Im Zusammenhang zum 7. Oktober 2023, dem Tag des Hamas-Massakers an 1.200 Israelis, werden die Kriegsverbrechen und ggf. auch Verbrechen gegen die Menschlichkeit (7) der Hamas samt Mord, Folterung, sexualisierte Gewalt und Geiselnahme relativiert und geradezu gerechtfertigt. Die hasserfüllten Ideologien der Hamas des Islamismus und Erlösungsantisemitismus, die die Grundmotive für solche Verbrechen darstellen, sind bereits der Gründungscharta der Terrororganisation zu entnehmen. (8)
3. Plakat mit der Aufschrift „von Fulda bis nach Gaza, Yallah Intifada“ am 31.5.2024 auf der „Solidarisch gegen Rechts“ Demo auf dem Uniplatz, gemeinsam mit FridaysForFuture Fulda und Seebrücke Fulda. Dieses Plakat wurde auch an der Hochschule an den Hochschultagen am 8. Mai 2024 gezeigt (siehe Nachweis im Anhang).
Diese Parole ruft zu einer weltweiten “Intifada” auf. Die zweite Intifada (2000-2005) war geprägt und dominiert von gewalttätigen, ultranationalistisch und islamistisch motivierten Angriffe auf Jüdinnen und Juden sowie Israelis insbesondere durch die Terrororganisation der Hamas, die an einer Sabotage des Oslo-Friedensprozesses interessiert war. (9) Während der zweiten Intifada wurden insgesamt über 1.000 Israelis, zum Großteil Zivilistinnen und Zivilisten, durch gezielte Terroranschläge auf zivile Einrichtungen wie Restaurants, Busse, Synagogen und Diskotheken ermordet. Der Aufruf zur Intifada ist daher im Kontext des Nahostkonflikts als Dogwhisteling und Aufruf zur Ermordung von Jüdinnen und Juden sowie Israelis zu verstehen.
4. Die Gruppe teilte auf ihrem Instagram-Account einen Beitrag der „pro-palästinensischen“ Studentengruppen an der Universität Bonn (studentsforpal.bonn) und an der FU Berlin (studentsforpalestine_fu), der die Verwendung des roten Hamas Dreiecks an Universitäten rechtfertigt (siehe Nachweise im Anhang).
Die roten Dreiecke entspringen als Symbole aus Hamas-Propagandavideos zum Markieren von Gegnerinnen und Gegnern. Seit dem 7. Oktober 2023 werden diese verwendet, um vermeintliche „Zionisten“ zu markieren, darunter jüdische Studierende, aber auch Unipräsidentinnen und Unipräsidenten. (10)
So begrüßte „@studentsforpalestine_fu“ explizit die Bedrohung von Berliner Universitätsprofessoren mit Hamas-Dreiecken (siehe Anhang). SFP hält diese Tatsache aber nicht davon ab, ihre Beiträge zur Rechtfertigung der Verwendung roter Dreiecke zu teilen. Nicht ohne Grund gibt es daher einen Vorstoß seitens Berliner CDU- und SPD-Abgeordneter zum Verbot der Hamas-Dreiecke. (11)
5. Das laut eingespielte Lied „Palestine Will Never Die“ auf den Hochschultagen am 6.-8. Juni 2024 am Uni Campus mit dem Vers „From the River to the Sea, Palestine will be free“ sowie Rufe „Hurryia Hurryia, Falasteen arabiya“ (Freiheit, Freiheit, Palästina ist arabisch) auf einer Kundgebung einige Tage vor den Hochschultagen (Videos auf Instagram zu finden).
“From the river to the sea, Palestine will be free”: Diese Parole wünscht sich ein “freies Palästina” vom Fluss Jordan bis zum Mittelmeer, also auch auf dem völkerrechtlich unumstrittenen Staatsgebiet Israels und wünscht sich damit nichts anderes als die Vernichtung Israels.
„Huriya, Huriya, Falasteen arabiya” (Freiheit, Freiheit, Palästina ist arabisch’): Dieser Slogan, insbesondere in Verbindung mit dem vorangegangenen Verständnis von Palästina „from the river to the sea“, ähnelt dem obigen, allerdings mit der Verschärfung, dass nun ausdrücklich gesagt wird, dass israelisches/jüdisches Leben auf dem Gebiet des Staates Israels nichts zu suchen habe, sondern dieses in einer völkisch-nationalistischen Art und Weise “ethnisch arabisch” zu sein habe. Die rund 6,7 Millionen Jüdinnen und Juden, die derzeit in Israel leben, dürften demnach dort so nicht weiter existieren.
B. Zum Brief der AStA Fulda vom 15. Mai 2023 (ausgewählte Passagen) & IHRA-Definition
Der Brief des AStAs gibt nicht konkret an, welche HRK-Entschließung es kritisiert
Im Brief der AStA Fulda vom 15. Mai 2024 an die Mitglieder des Hochschulpräsidiums und alle Anwesenden der Landeshochschulkonferenz heißt es, man musste bedauerlicherweise erfahren, dass „an der Hochschulrektor*innenkonferenz, die am 13.-14.05.2024 an unserer Hochschule stattfand, einige Vereinbarungen unterzeichnet [wurden], die wir als Studierende der Hochschule Fulda nicht unterstützen können und wollen. Darunter fällt die IHRA-Arbeitsdefinition […].“
Welche Vereinbarungen (eigentlich Entschließungen) genau damit gemeint sind, präzisiert der AStA Fulda nicht. Die einzige Entschließung der HRK, die wir in diesem Zeitraum zum Nahostkonflikt / Antisemitismus identifizieren konnten ist „Hochschulen als freien Diskursraum sichern“ vom 14. Mai 2024 (12). Darin werden die Hochschulen als „Orte der offenen Diskussion und des Dialogs“ verstanden, die „einen Austausch auch über gesellschaftlich strittige Themen und Meinungen“ gewährleisten.
Die IHRA-Definition findet hier keine Erwähnung, diese wurde wiederum bereits auf der HRK-Mitgliederversammlung 2019 ausdrücklich befürwortet. (13)
Leicht widerlegbare Behauptungen
Im Brief werden unter anderem folgende Behauptungen aufgestellt:
1. „Wir haben Angst vor einer Zensur der Wissenschaftsfreiheit, wie sie in Bayern anfängt, wo das Gendern bereits verboten wurde. […] Mit der Erweiterung des Antisemitismusbegriffs findet eine weitere politische Zensur statt, die die aktuelle Staatsräson widerspiegelt.“
Bei der deutschen Staatsräson geht es laut den Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages „um die historische und politische Verantwortung für die Sicherheit und Existenz Israels“. (14) Weiterhin heißt es: „Die Staatsräson bewirkt also weder eine rechtliche Verpflichtung noch eine anders geartete Rechtsfolge. Daher bleiben auch Verstöße gegen die Staatsräson rechtlich folgenlos.“. Von einer „Zensur“ kann somit nicht die Rede sein und davon ohne jegliche Grundlage und Nachweise zu sprechen zeigt Ähnlichkeiten zu Äußerungen von Verschwörungstheoretikern, die einen Generalverdacht an staatlich-demokratische Institutionen und der freien Presse schüren.
Zudem halten wir eine Gleichsetzung des Verbots der Verwendung von Gender-Sonderzeichen durch Behörden, Schulen und Hochschulen in Bayern mit dem Einsatz der IHRA-Definition als nicht-juristisch verbindliche Arbeitsdefinition zur Identifizierung und Bekämpfung von Diskriminierung gegen Jüdinnen und Juden für mehr als befremdlich.
2. „Wir sehen die brutal aufgelösten friedlichen Demonstrationen und Besetzungen unserer Kommiliton*innen an anderen Universitäten Deutschlands und weltweit.“
Der AStA Fulda solidarisiert sich pauschal mit den „friedlichen Demonstrationen und Besetzungen“. Dabei blendet der AStA Fulda die mit Gewalt, Sachbeschädigung oder Terrorverherrlichung bekannt gewordenen Besetzungen an Universitäten in Deutschland völlig aus. Als Beispiel soll die Besetzung der Berliner Humboldt Universität Ende Mai 2024 angeführt werden, in welcher offene Hamas-Sympathiebekundungen an Wänden geschmiert wurden (15) und dessen Vandalismus zu einem Sachschaden in Höhe von EUR 150.000 führte (16). Ein weiteres Beispiel ist das „pro-palästinensische" Protestcamp ebenfalls Ende Mai 2024 an der Goethe-Universität Frankfurt am Main, in welchem die Teilnehmenden sowohl zur Vertreibung der Israelis aus Israel aufriefen (17), als auch auf einer ausgestrahlten Hamas Terror-Verherrlichung mit tobenden Beifall und Applaus reagierten (18). Mit einem fehlenden Hinweis auf diese Vorfälle beweist der AStA Fulda einen hohen Grad an Ignoranz und Indifferenz für den wachsenden israelbezogenen Antisemitismus an Hochschulen und die Betroffenheit jüdischer Studierender.
Die IHRA-Definition gibt explizit an, dass Kritik an Israel möglich ist. So steht in der IHRA-Definition: „Allerdings kann Kritik an Israel, die mit der an anderen Ländern vergleichbar ist, nicht als antisemitisch betrachtet werden.“ Eine solche pauschale Behauptung lässt sich somit schnell widerlegen.
4. „Das Festlegen dieser Definition entspringt nicht dem wissenschaftlichen Prozess, sondern aus einer politischen ldeologie.“ und „Die allgemeine Definition hat leider den ungewollten Nebeneffekt, dass sie Spielraum für verschiedene Meinungen auf den Campi nimmt und drängt Studierende dazu eine Pro-lsraelische Meinung zu vertreten.“
Dieser Vorwurf soll die IHRA-Definition, die von vielen Forschern anerkannt ist, pauschal delegitimieren. Tatsache ist, dass die Verabschiedung der IHRA-Definition betroffene Personen vor israelbezogenen Antisemitismus, der gerade einen starken Anstieg erlebt, schützt. Kritik gegenüber Israel bleibt unter der Beachtung der 3D-Regel (19) weiterhin möglich.
5. „Die Problematik an der [IHRA] Definition ist, dass sie zu undefiniert ist. Sie liefert keine konkreten Beispiele, für das was Antisemitismus ist bzw. welche Aspekte nicht dazugehören.“
Die Behauptung, die IHRA-Definition liefere keine konkreten Beispiele, ist objektiv falsch und hätte mit einem kurzen Blick auf die IHRA-Definition zurückgezogen werden müssen. Es werden elf Beispiele angeführt.
Die IHRA-Definition im Vergleich zur JDA
Während das Schreiben des AStA Fulda nicht einmal eine Alternative aufführt, wollen wir dennoch kurz ausführen, weshalb wir anhand der vorliegenden antisemitischen Vorfällen (siehe Abschnitt A) die IHRA-Definition für geeigneter als die JDA halten.
Die IHRA-Definition enthält explizit das folgende Beispiel als antisemitisches Verhalten: „Vergleiche der aktuellen israelischen Politik mit der Politik der Nationalsozialisten.“ Damit wäre die Holocaustrelativierung (siehe antisemitischen Vorfall Nr. 1) antisemitisch. Die JDA als selbsterklärte Alternative zur IHRA-Definition hat dieses Beispiel ausgelassen und erschwert somit die eindeutige Einordnung der oben vorgefallenen Holocaustrelativierung als antisemitisch.
Die IHRA-Definition enthält explizit das Absprechen des Existenzrechts Israels als einen antisemitischen Vorfall: „Das Aberkennen des Rechts des jüdischen Volkes auf Selbstbestimmung, z.B. durch die Behauptung, die Existenz des Staates Israel sei ein rassistisches Unterfangen.“. Damit wären Vorfälle 2. und 5. abgedeckt. Die JDA hat dieses Beispiel explizit ausgelassen und mit folgendem Satz ersetzt: „Jüd:innen im Staat Israel das Recht abzusprechen, kollektiv und individuell gemäß dem Gleichheitsgrundsatz zu leben.“ (20), mit welchem es schwerer fallen sollte, Vorfälle 2. und 5. explizit als antisemitisch zu bezeichnen.
Im politischen Diskurs können sich unserer Erfahrung nach insbesondere Personen, die aus faktisch antisemitischen Motiven die Existenz Israels als „rassistisches Unterfangen“ oder gar mit NS-Vergleichen delegitimieren wollen, auf unliebsame Antisemitismusvorwürfe mit Verweis auf die JDA selbst freisprechen. Für eine weiterführende Kritik an der JDA verweisen wir auf weitere Artikel. (21)
Wir setzen uns klar für die IHRA-Definition ein
Insbesondere im Angesichts der expliziten Bekennung der HRK für die Freiheit der Wissenschaft sowie der nicht-juristischen Natur der IHRA-Definition können wir die Kritik des AStA Fulda nicht nachvollziehen.
Wir sind über die umfangreiche und sich ständig fortentwickelnde Forschung und Lehre zum Antisemitismus (22) sehr wohl bewusst und halten es für wichtig, dass diese faktenbasiert gestärkt werden. Einen solchen faktenbasierten, konstruktiven Diskurs können wir am Inhalt des Briefs des AStA Fulda nicht erkennen. Vielmehr sehen wir eine durchweg schlechte Recherchearbeit, die keine Alternativvorschläge zur IHRA-Definition liefert und damit Antisemitismusbetroffenen einen Schutzmechanismus entzieht.
Dass die oben angeführten antisemitischen Vorfälle unbestritten von den Beispielen der IHRA-Definition abgedeckt sind, demonstriert eindeutig, warum wir für die IHRA-Definition als eine geeignete und angemessene Arbeitsdefinition für den effektiven Kampf gegen Antisemitismus an Hochschulen plädieren. Die IHRA-Arbeitsdefinition steht unseres Erachtens nach einer differenziert-kritischen, faktenbasierten und völkerrechtlichen Debatte zum Nahostkonflikt nicht im Wege.
Zusammenfassung & Forderungen
Es braucht Zivilcourage und Verantwortungsübernahme
In Zeiten, in denen sich antisemitische Angreifer immer weniger vor körperlicher Gewalt scheuen (23), in denen sich eine Berliner Universitätspräsidentin es erlauben kann, antisemitische Tweets zu liken ohne Konsequenzen zu ziehen (24), in denen sich am Studentenparlament der Uni Kassel ein Parlamentarier traut, offen während der Sitzung zu behaupten, die Hamas sei keine Terrororganisation, (25) in solchen Zeiten braucht es Zivilcourage und Verantwortungsübernahme im Kampf gegen Antisemitismus.
Voraussetzung hierfür ist die Fähigkeit, Antisemitismus zu identifizieren und der ehrliche Wille, ihn zu verurteilen und zu bekämpfen.
Unser Urteil zum Verhalten des AStA Fulda
Aufgrund der vorangegangenen Fälle müssen wir unser trauriges Urteil fällen, dass der AStA Fulda zum jetzigen Zeitpunkt offensichtlich nicht fähig ist, Antisemitismus zu identifizieren. Daher empfehlen wir dringend die Sensibilisierung und Selbstaufklärung in Sachen Antisemitismus, insbesondere israelbezogenen Judenhass. Ein weiterer Schritt im Kampf gegen Antisemitimus und zur Wiederherstellung einer Vertrauensbasis wäre aus unserer Sicht mindestens die Zurücknahme des Briefes vom 15. Mai 2023 und die öffentliche Verurteilung der antisemitischen Vorfälle durch SFP.
Mögliche Verstöße gegen das Verhaltenskodex durch SFP
Ferner stellen aus unserer Sicht mindestens Vorfälle 3 & 5 des Abschnitt A Verstöße gegen das Verhaltenskodex der Hochschultage (26). Dazu gehören unter anderem „antisemitische Gewalt“, „diskriminierende Verhaltensweisen oder Handlungen“, „Androhung oder Ausübung verbaler oder körperlicher Gewalt“. Zudem stellt das unerlaubte Fotografieren (und Veröffentlichung dieser Bilder) von Mitgliedern der LHG Fulda (dies ist noch weiterhin auf dem Instagram-Highlight von SFP zu sehen) aus unserer Sicht einen weiteren klaren Verstoß der Regelungen. Dieses Verhalten deuten wir als weiteres Beispiel von antidemokratischer Einschüchterung, ganz im Sinne ähnlicher Fälle derselben extremistischen Ideologie an anderen Universitäten, und wir appellieren an den AStA Fulda, diese möglichen Verstöße und eventuelle Konsequenzen zu prüfen. Den AStA Fulda sehen wir in der Verantwortung, seinen Pflichten nachzukommen.
Die Standkaution in Höhe von 100 € für einen Tag einzubehalten und SFP zu bitten, „die Nutzung dieses negativ konnotierten Begriffes [Intifada] zu überdenken und ggf. zu unterlassen“ (27), halten wir für unbefriedigende und ungenügende Maßnahmen.
Der AStA Fulda muss einen ehrlichen Willen zur Antisemitismusbekämfung unter Beweis stellen
Wir halten es für unverantwortlich, mit SFP zu kooperieren, geschweige denn ihr eine Plattform zu bieten, solange sie sich nicht von den eigenen antisemitischen und antidemokratischen Vorfällen glaubwürdig distanziert hat. Solange braucht es auch eine klare Distanzierung von diesem losen Bündnis.
Mit diesen Maßnahmen kann der AStA Fulda nach Bruch der Vertrauensbasis vieler Hochschulangehöriger und jüdischer Studierende unter Beweis stellen, dass er auch ernsthaft gewillt ist, Antisemitismus zu bekämpfen und damit alle Studierende am Campus zu schützen. Nicht zuletzt sehen wir dies als Voraussetzung und Grundlage für eine wissenschaftsbasierte und inklusive Debatte auch zu politischen Themen.
Auf diesen Schritten folgend stehen wir sehr gerne für einen konstruktiven Austausch mit dem AStA Fulda zur Verfügung.
Solidarität mit der palästinensischer Zivilbevölkerung ist wichtig
Ferner wollen wir festhalten, dass wir die Solidarität mit der leidenden und von einer humanitären Katastrophe betroffenen palästinensischen Zivilbevölkerung im Gazastreifen auch für wichtig halten. Wenn diese aber wiederholt benutzt wird, um Antisemitismus zu verbreiten und andere am Campus einzuschüchtern, dann verliert die in Frage stehende "pro-palästinensische" Gruppe ihre Glaubwürdigkeit. Es ist ohne weiteres möglich, sich für die palästinensische Zivilbevölkerung einzusetzen, ohne antisemitische Narrative zu verbreiten. Das gelingt SFP aber offenbar nicht.
Weitere Adressaten: die Stadt Fulda & das Präsidium der Hochschule Fulda
Zuletzt sind wir sehr irritiert über die Tatsache, dass der offizielle Instagram-Account des Ausländerbeirats der Stadt Fulda den Stand von SFP beworben hat (siehe Screenshot im Anhang). Aufgrund dieser Tatsache und der Tatsache einer Co-Förderung durch die Stadt Fulda der Hochschultagen erwarten wir von ihr eine Stellungnahme und klare Distanzierung von den antisemitischen Parolen.
Die Hochschule Fulda, die auch als Sponsor der Hochschultage aufgelistet ist, sehen wir in der Verantwortung, im Sinne der gemeinsamen Erklärung des Landes und der Hochschulen vom
14. Dezember 2023 (28) konsequent gegen Antisemitismus sowie mögliche Verstöße gegen die Antidiskriminierungsrichtlinie vorzugehen.
Das Präsidium wurde unserem Kenntnisstand nach von antisemitismuskritischen Studierenden laufend und vollumfänglich über die antisemitischen und problematischen Äußerungen von SFP informiert. Es ist damit seine Pflicht, die Freiheit der Wissenschaft dadurch zu schützen, dass Einschüchterungen und antisemitischer Hetze in aller Deutlichkeit Einhalt geboten werden.
Frankfurt am Main, den 21. Juni 2024
Vorstand des Verbands Jüdischer Studierender Hessen
Unterstützer unserer Stellungnahme:
Liberale Hochschulgruppe (LHG) Hessen
Junge Liberale Hessen
Junge Union Hessen
RCDS Hessen
Juso Hochschulgruppen Hessen
Die Grüne Jugend Hessen & Jusos Hessen unterstützen die gekürzte Version dieser Stellungnahme, siehe auf unserer Instagram-Seite.
Quellen:
https://holocaustremembrance.com/resources/arbeitsdefinition-antisemitismus
https://www.bpb.de/themen/antisemitismus/dossier-antisemitismus/321575/sekundaerer-antisemitismus/
https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/nahermittlererosten/besetzte-gebiete/2263564
https://www.bundestag.de/resource/blob/984870/79547ce7fca4d17deedd8bf400ee7e44/WD-3-134-23-pdf.pdf
Für weitere wissenschaftliche Präzisierung und Ergänzung, siehe z.B. Prof. Dr. Schwarz-Friesel https://www.idz-jena.de/wsddet/wsd8-5/
https://jerusalemdeclaration.org/wp-content/uploads/2021/03/JDA-deutsch-final.ok_.pdf
Siehe z.B. Prof. Dr. Rensmann https://www.belltower.news/die-jerusalemer-erklaerung-eine-kritik-aus-sicht-der-antisemitismusforschung-116093/
siehe z.B. neuere Forschung zu Antisemitismus aus Betroffenenperspektive https://zwst-kompetenzzentrum.de/wp-content/uploads/2021/04/Forschungsbericht_Familienstudie_2020.pdf
Siehe den Angriff auf den jüdischen Berliner Studenten Lahav Shapira https://www.rbb24.de/politik/beitrag/2024/02/fu-berlin-antisemitismus-angriff-juedischer-student-konsequenzen-gefordert.html sowie Vorfall an der Uni Hamburg https://www.spiegel.de/panorama/bildung/hamburg-antisemitischer-angriff-an-universitaet-hamburg-a-b5259325-5b1e-43f8-8e79-df3c5b58edd7
https://www.hna.de/kassel/polizeieinsatz-im-studierendenhaus-93113084.html
Anhang mit Nachweisen
Screenshot vom 15.06.2024: der offizielle Geländeplan der Hochschultagen 2024 listet SFP am Stand 37 auf.
Screenshot vom 15.06.2024: In einem Instagramreel zeigt die Gruppe SFP stolz eines ihrer Plakate, möglicherweise an einem Infostand am Unicampus der Hochschule Fulda, mit dem Holocaust-relativierenden Slogan: „One Holocaust does not justify another.“
Screenshot vom 15.06.2024: es zeigt die Gruppe SFP am letzten Tag der Hochschultagen mit dem Plakat: „Von Fulda bis nach Gaza, Yallah Intifada“
Screenshot vom 15.06.2024: der Instagram Account von SFP bewirbt einen Instagrambeitrag, der die Verwendung der roten Hamas-Dreiecken rechtfertigt.
Screenshot vom 15.06.2024: der Account, dessen Beitrag zu den roten Hamas-Dreiecken von SFP geteilt wurde, hatte lediglich Tage zuvor eine Drohung an FU-Unipräsident Prof. Ziegler, Humboldt Universitätspräsidentin Prof. Blumenthal sowie dem Berliner Bürgermeister Wegner („We are coming for you!“ mit Hamas-Dreieck) mit einem gutheißenden Kommentar in der Caption geäußert: #Wearealljabalia“
Screenshot vom offiziellen Account des Ausländerbeirats der Stadt Fulda, welches eine Bewerbung für den Stand von SFP zeigt.