Frankfurt am Main, den 4. September 2024
Der autoritäre Geist der AfD dringt in unseren Alltag ein - Statement über die Störung der Veranstaltung „Zwischen den Stühlen - Antisemitismus im politischen Raum“ am 2. September 2024
Am 2. September 2024 um 19 Uhr fand an der Justus-Liebig-Universität die Veranstaltung „Zwischen den Stühlen - Antisemitismus im politischen Raum“ mit Jakob Baier, Hanna Veiler, Michel Friedman und Laura Cazés statt. Organisiert wurde sie von der SPD Gießen und uns, dem Verband Jüdischer Studierender Hessen. Die Veranstaltung war mit 250-300 Personen gut besucht.
Die Debatte umfasste die Kontinuität von Antisemitismus im postnazistischen Deutschland bis zur Gegenwart. Der Diskurs befasste sich mit der gesamtgesellschaftlichen Problematik des Judenhasses, und keine politische Strömung wurde dabei ausgelassen. Als die Debatte sich jedoch um aktuelle Themen, insbesondere die aktuellen Wahlen, drehte und von Friedman Kritik gegen die AfD geäußert wurde, begann ein Mann aus der letzten Reihe laut zu werden und unterbrach die Veranstaltung.
Friedman nahm die Situation gelassen und schlug dem stadtbekannten Störer vor, in einen Diskurs einzutreten. Doch der Mann setzte seinen Monolog fort. Er warf Friedman wiederholt vor, ein „Hetzer“ zu sein und gegen eine „demokratisch legitimierte und verfasste Partei“ zu „hetzen“. Außerdem sei es „einseitig“, wenn Friedman über Diskriminierung spreche – gemeint war damit Antisemitismus in Deutschland – während „in Gaza ein mutmaßlicher Völkermord“ stattfinde. Nach wenigen Minuten wurde der Mann des Raumes verwiesen.
Nur wenige Tage zuvor konnte sich die AfD, erstmals seit der Schoah, in einem Bundesland als in Teilen gesichert rechtsextreme Partei als stärkste politische Kraft durchsetzen. In Thüringen verfügt die AfD sogar über eine Sperrminorität und somit über die politische Macht, Entscheidungen von Verfassungsrang im Thüringer Landtag zu blockieren. Derweil wird die Kritik an der AfD von jüdischer Seite, zuletzt von Joseph Schuster und Charlotte Knobloch, abgewunken, und der rechtsextreme, geschichtsrevisionistische Flügel unter Björn Höcke gewinnt immer mehr an Einfluss.
Der wegen einer NS-Parole verurteilte Höcke und viele seiner führenden Parteigenossen wie Maximilian Krah und Alexander Gauland treiben eine Erzählung voran, die die Erinnerungskultur an den Holocaust angreift. Im Zentrum steht die Behauptung, dass die Erinnerungskultur „im Wege des Patriotismus“ stehe. Zugleich entzieht man sich der gesamtgesellschaftlichen Verantwortung für Minderheiten und den Kampf gegen jegliche Form der Diskriminierung, insbesondere des Antisemitismus. Dies kommt einem reinen Gewissen bei der Verwendung antisemitischer Codes und Verschwörungsnarrativen sehr gelegen.
Das Verhalten des Störers am gestrigen Abend spiegelte gängige Methoden der AfD wider: Kritik an der AfD wurde abgewunken und stattdessen eine Opferrolle inszeniert. Friedman, der Kritiker, wurde als „Täter“ dargestellt.
Zugleich zeigt sich die toxische und polarisierende Debattenkultur, die von führenden Persönlichkeiten der AfD vorangetrieben wird: Friedman gab dem Mann mehrmals die Möglichkeit, sich frei zu äußern und in einen Dialog zu treten, um der geläufigen Narrative innerhalb der AfD, man dürfe „nichts mehr sagen können“, entgegenzuwirken. Doch dem Mann ging es nur darum, seine Wut zu äußern und Friedman persönlich anzugreifen und zu delegitimieren, indem er ihn als „Hetzer“ stigmatisieren wollte.
Trotz Semesterferien geschah das Ganze auf einer von jüdischen Studierenden mitorganisierten Veranstaltung in universitären Räumlichkeiten: also dort, wo jüdische Studierende ihre meiste Zeit verbringen. Der autoritäre Geist der AfD drang somit in unsere Räumlichkeiten ein.
Zugleich machte sich der Mann auch des israelbezogenen Antisemitismus zu eigen: Er sprach Friedman die Deutungshoheit über Antisemitismus ab und nutze dabei das Leiden der Palästinenser im Gazastreifen als Vorwand. Damit machte er implizit Jüdinnen und Juden pauschal für die mutmaßlichen Taten des Staates Israel verantwortlich.
Für uns ist daher klar: Die Brandmauer ist wichtiger denn je. Sie geht einher mit unserer unerschütterlichen Haltung für unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung.
Abschließend möchten wir uns bei unserem Gründungsvorstandsmitglied Simon Beckmann sowie bei Nabor Keweloh für die Organisation bedanken.
Wir freuen uns zudem über die Haltung des Publikums und insbesondere der Gastrednerinnen und -redner, dass sie sich von der Situation nicht abschrecken ließen, sodass die Veranstaltung wie geplant fortgeführt werden konnte.
Die Störung konnte der Veranstaltung somit nicht den beabsichtigten Schaden zufügen. Im Gegenteil, sie diente als eindrückliches Beispiel für die Aktualität der Veranstaltung und ihr Diskussionsgegenstand.